Die Soirée "Lässt sich Natur des Schleiers nicht berauben" behandelt in subjektiv literarischer Form das Phänomen des Zweiten Gesichts und dessen Randerscheinungen. Das Zweite Gesicht ist eine spezielle Form der aussersinnlichen Wahrnehmung, die noch bis zum Zweiten Weltkrieg in Norddeutschland stark verbreitet war. Ein räumlich oder zeitlich entferntes Ereignis erscheint plötzlich als "Bild aus der Zukunft" vor dem Seher.
Seit Anfang des Jahrhunderts hatte der Schulrektor und Postagent Aloys T., in dem weltabgewandten westfälischen Heidedort Füchtorf, Aussagen von "Spökenkiekern" - so heißen in Westfalen die Geisterseher - gesammelt und aufgeschrieben. In der Soirée wird der Hörer Zeuge seiner Versuche, eine Erklärung für dieses unfaßbare Phänomen zu finden. Immer wieder zieht der Schulrektor bei seiner Forschung zu den eigenen Beobachtungen Beispiele aus der Weltliteratur heran, von Vergil bis hin zu Werner Bergengruen. Denn von jeher hat der Mensch den Wunsch gehabt, etwas über die Zukunft zu erfahren. Deshalb finden sich seit den Antiken immer wieder Motive in der Literatur, die den Glauben an vorausdeutende, von überirdischen Mächten gesandte Zeichen belegen. Aloys T. berührt bei seinen Forschungen auch die Grenzen des Phänomens, wo nämlich der Zustand des Visionärs dem eines an Schizophrenie erkrankten Menschen gleichkommt.
SPRECHER | Bodo Primus, Rudolf Jürgen Bartsch, Joachim Nottke, Heinz Schimmelpfennig, Helmut Wöstmann, Charles Wirths, Christel Koerner, Cornelia Boje |
MUSIK | Schubert, Beethoven, John Cage, Zeynek Vostrák, Boris Porena, Heitor Villa-Lobos, Schönberg, Debussy, Edgar Varèse, Mauricio Kagel, Don Gesualdo, Bruno Maderna, Alberto Ginastera, Giacomo Manzoni |
REGIE | Harald Koerner |
TONTECHNIK | Roland Seiler / Regine Schneider |
REDAKTION | Gerhard Adler |
LÄNGE | 120 Minuten |
ERSTSENDUNG | SWF 19.6.1993 |